Leitsatz: Eine bei der Abwägung nach § 765a ZPO zu berücksichtigende mit den guten Sitten unvereinbare Härte liegt auch vor, wenn der Schuldner an einer Erkrankung leidet und die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands und als deren Folge eine Gefahr für sein Leben oder schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt. Dass eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch durch andere Umstände ausgelöst werden könnte, ändert daran nichts. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - V ZB 138/15
Erfreulicherweise schafft der BGH nun etwas Rechtssicherheit zu der Frage, wann Vollstreckungsschutz zu gewähren ist. Bei vielen Amts- und Landgerichten wurde bisher die Ansicht vertreten, dass "nur" bei Suizidgefährdung, die auf der Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens oder bei Zuschlagserteilung beruht Vollstreckungsschutz zu einer Verfahrenseinstellung gewährt werden könnte. Dies war teilweise unverständlich, da nicht nachvollziehbar ist, warum ein z.B. schwer herzkranker Schuldner keinen Vollstreckungsschutz erhält und dann mit dem Argument, dass die Herzerkrankung auch außerhalb des Versteigerungsverfahrens eine Lebensbedrohlichkeit entwickeln könnte.
Zutreffend führt der BGH in seinen Entscheidungsgründen nun aus, dass die Vorstellung, im Zwangsversteigerungsverfahren seien nur die durch das Verfahren selbst ausgelösten Gefahren eines Suizids oder ähnlicher extremer Reaktionen des Schuldners oder einer besonders außergewöhnlichen Zuspitzung einer vorhandenen Erkrankung zu berücksichtigen, nicht aber die Verschlechterung des durch eine vorhandene Erkrankung angegriffenen Gesundheitszustands selbst, die schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lassen unzutreffend ist und auch in solchen Fällen Vollstreckungsschutz zu gewähren ist. Bei vielen Amts- und Landgerichten war diese Ansicht bisher leider wirklich gang und gebe.
Den Schutz auf Leben und körperliche Unversehrtheit nun stärkend führt der BGH dazu aus, dass auch eine Verringerung eines lebensbedrohlichen Gesundheitsrisikos ausreichend sein kann, wenn die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses dieses Risiko verringert. Die Schlussziehung, dass der Möglichkeit eines solchen Eintritts im Zwangsversteigerungsverfahren nicht Rechnung getragen werden müsse, unzutreffend ist. Ebenso wie die Vorstellung, im Zwangsversteigerungsverfahren seien nur die durch das Verfahren selbst ausgelösten Gefahren eines Suizids oder ähnlicher extremer Reaktionen des Schuldners oder eine besonders außergewöhnliche Zuspitzung einer vorhandenen Erkrankung zu berücksichtigen, nicht aber die Verschlechterung des durch eine vorhandene Erkrankung angegriffenen Gesundheitszustands, die schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lassen.
Die Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Rechts des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist im Zuschlagsbeschwerdeverfahren nach § 100 Abs. 1 u. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG nicht nur bei der konkreten Gefahr eines Suizids zu berücksichtigen, sondern auch, wenn die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens aus anderen Gründen eine konkrete Gefahr für das Leben des Schuldners besorgen lässt oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Risiken eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a ZPO darstellen (BVerfG, WM 2014, 565 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 13. August 2009 - I ZB 11/09, WM 2009, 2228 Rn. 12). Diese Voraussetzungen können zwar nicht schon angenommen werden, wenn die Fortsetzung des Verfahrens nur zu physischen oder psychischen Belastungen des Schuldners führt oder das Bestehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie einer Krebserkrankung vorliegt. Eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a ZPO liegt aber dann vor, wenn die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens den Erfolg der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners gefährdet und nichts Anderes kann gelten, wenn der Schuldner an einer Erkrankung leidet und die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands und als deren Folge eine Gefahr für das Leben des Schuldners oder schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt (BVerfG, WM 2014, 1725, 1726; BGH, Beschluss vom 13. August 2009 - I ZB 11/09, WM 2009, 2228 Rn. 12). Dass eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch durch andere Umstände ausgelöst werden kann, die nicht im Zusammenhang mit der Zwangsversteigerung stehen, ändert daran nichts und ist deshalb ohne Bedeutung.
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